Heute möchte ich mal ein Buch vorstellen, welches ausnahmsweise mal kein Kochbuch ist. Es handelt sich bereits um das zweite Werk der Schriftstellerin Bulbul Sharma. Wie man vielleicht am Namen bereits erkennen kann: sie lebt in Indien, genauer gesagt in Dehli.
Das Buch, erschienen im Original unter dem Titel “ Eating Women, telling tales – Stories about Food“ im Zubaan Verlag – hier in Deutschland beim Epidu Verlag (www.epidu.de) unter dem Titel „Der Toten gedenken – Indische Frauen bitten zu Tisch“.

Ich mußte etwas überlegen, habe mich dann aber doch entschieden, den Klappentext hier nicht mit aufzuführen – ich finde, er wird dem Buch erstens nicht gerecht und weckt zweitens Erwartungen, in dem Buch wären kleine heitere Anekdoten à la Ephraim Kishon zu finden. Wer das erste Werk von Bulbul Sharma kennt, der wird darauf natürlich genau so wenig reinfallen, wie auf das Cover – hier sind auch keine Kriminalromane zu finden.
Davon mal abgesehen handelt es sich um ein ziemlich dünnes Paperback-Buch mit nur 132 Seiten – also eigentlich ein Werk, welches man an 1 – 2 Abenden durch hat. Ich sage gleich mal vorweg: Ich habe dafür fast zwei Wochen gebraucht (und das nicht, weil das Buch so langweilig oder schlecht zu lesen wäre, im Gegenteil), warum das so ist, darauf komme ich noch zurück.
Gehen wir doch mal in das Buch. Es fängt damit an, daß sich ein paar indische Frauen, alle auf verschlungenen Wegen miteinander verwandt, treffen, um eine Todestagsfeier für einen verstorbenen Verwanden vorzubereiten. Nun dürfte jeder solche oder zumindest ähnliche Famiienfeiern kennen – die Vorbereitung des Essens nimmt einen sehr großen Teil der Zeit in Anspruch, sogar im modernen Europa. Versetzt man sich jetzt auch noch nach Indien, wo der Tupper-Chef nicht in jeder Küche steht, dann kann man sich denken, daß mit den Essensvorbereitungen lange Stunden Gemüse schnippseln, Reis kochen, Curry schmoren, ect. verbunden sind. Und was tut man, bzw. Frau dabei unweigerlich? Erzählen. Zu solchen Gelegenheiten kommen natürlich immer schon tausend Mal gehörte Familiengeschichten zur Erinnerung. Jeder kennt das, und wenn man ehrlich ist, jeder wartet doch bei solchen Gelegenheiten nur auf seine Lieblingsgeschichte.
Es handelt sich hier also um ein paar Kurzgeschichten, eingebettet in die obrige Rahmenhandlung. Das Besondere an diesen Geschichten ist unter anderem, daß sie kein Ende haben. Sharma fängt an, eine Geschichte erzählen zu lassen, die auf den ersten Blick sacht dahinplätschert. Und dann plötzlich, wie zufällig hingestreut, erscheint ein Satz, der der Geschichte mit einem Mal unendliche Tiefe verleiht. In die angesprochenen Themen kann sich jeder auf die ein oder andere Weise hineinversetzen, und dadurch wird der Effekt noch verstärkt. Wer kennt es zum Beispiel nicht, als Kind sieht man die Welt seiner Eltern ganz anders. Als Elternteil sieht man auch in dem Erwachsenen noch ein Kind. Es findet, bei den einen mehr, bei den anderen weniger, ein bißchen eine Art Entfremdung statt – und das gilt ja nicht nur, wenn der Sohn plötzlich ins Ausland zieht. Und wer kennt das nicht, wenn jemand Liebes aus der Verwandtschaft gestorben ist – plötzlich hat die betreffende Person jeder anders in Erinnerung. War Mutter jetzt Vegetarierin und hat den Fisch nur der Schwiegertochter zuliebe gegessen? War sie einverstanden mit der Wahl ihres Schwiegersohns oder nur zu höflich um etwas zu sagen? Wem hat sie die Goldkette versprochen und wem tatsächlich geschenkt oder vererbt?
(Fast) Alle Geschichte hier drin bieten unendlich viel zum Nachdenken, Bulbul Sharma gibt hier immer nur den Denkanstoß. Das ist auch der Grund, warum ich so lange zum lesen gebraucht habe. Man kann dieses Buch nicht einfach am Stück runterlesen. Immer wieder ertappt man sich dabei, daß man schon seit zehn Minuten Löcher in die Luft starrt und denkt, statt weiter zu lesen. So auch bei der Geschichte, als ein Mann nach dem Tod seiner Frau plötzlich feststellt, daß er sie viel schlechter gekannt hat, als der Gärtner, mit dem sie jeden Tag geredet hat. Wenn man früh aus dem Haus geht und erst spät abends wiederkommt – was kriegt man denn da von seiner Familie noch mit, wenn man sich nicht explizit die Zeit dazu nimmt? Eine Frage, die man sich gerade in der heutigen Zeit (egal ob in Indien, Amerika oder Deutschland) immer wieder stellen kann.
Eine so immense Gedankenvielfalt auf nur 132 Seiten unterzubringen und dabei eine gewisse Ironie nicht aus den Augen zu verlieren – dazu gehört schon einiges schriftstellerisches Können. Das bringt Bulbul Sharma hier auf sehr elegante Art und Weise zum Ausdruck. Abgesehen davon bekommt man auch noch einen kleinen Einblick nach Indien und in die Indische Wesensheit, denn die Hauptprotagonisten in diesem Buch sind Inder. Grade dieser manchmal recht deutliche Kulturunterschied hebt aber verschiede Gedanken noch mehr in den Vordergrund, weil man auch immer wieder darüber nachdenken muß, wo die Parallelen bzw. Unterschiede zur europäischen Kultur stecken. Und, wie gesagt, trotz aller Unterschiede sind die angesprochenen Themen auf die ein oder andere Weise universell verstehbar.
Ich möchte deshalb www.blogdeinbuch.de danken, daß ich die Möglichkeit hatte, dieses Buch zu lesen – ich habe es absolut nicht bereut.
Wer daran denkt, sich selber mal da reinzulesen, hier läßt sich das Buch beziehen:
http://shop.strato.de/epages/62793964.sf/de_DE/?ObjectPath=/Shops/62793964/Products/ro-dtg-001-p